Suche

Im Interview mit Jörg Adami

Schließen

Jörg Adami ist Geschäftsführer der unabhängigen Not-For-Profit-Organisation esports player foundation GmbH. Gegründet hat er sie vor einem Jahr in Köln – als eine Art Deutsche Sporthilfe für E-Sportler. Was er genau macht, wer ihn dabei unterstützt, was er noch alles erreichen möchte und welche Probleme es dabei gibt, sagt er im Interview.  

 

Herr Adami, bevor Sie die esports player foundation gegründet haben, waren Sie bei der Deutschen Sporthilfe. 

Ja, ich habe da zehn Jahre als Vorstand gearbeitet. Das war eine sehr schöne Zeit. Man lernt die Athletinnen und Athleten persönlich kennen und freut sich mit ihnen über ihre Erfolge. Das Wichtige ist allerdings, dass wir mit der Sporthilfe sehr positiv in die Gesellschaft wirken, indem wir Kindern und Jugendlichen Vorbilder präsentieren, an denen sie sich orientieren können. Sie werden motiviert, selber Sport zu treiben, sich zu bewegen und die Werte des Sports anzunehmen. Die Aufgabe hat mir große Freude bereitet. 

Warum haben Sie sich dann trotzdem einer neuen Aufgabe zugewendet? 

Ich war bei der Deutschen Sporthilfe für zwei Bereiche verantwortlich – für die Förderung und für die Strategie. Und im Rahmen dieser strategischen Arbeit habe ich vor zwei, drei Jahren angefangen, ein bisschen rumzumeckern. Ich habe gesagt: Passt auf, Freunde, wenn wir unsere Lebensberechtigung behalten wollen und weiterhin mit Vorbildern positiv in die Gesellschaft wirken wollen, dann sollten wir uns zwar auch weiterhin um die olympischen Disziplinen bemühen, aber wir dürfen unsere Augen dabei nicht vor den großen gesellschaftlichen Wandeln und Entwicklungen verschließen. Das klassische Vereinsmodell mit seinen starren Trainingszeiten entspricht nicht mehr der Lebenswirklichkeit eines Heranwachsenden. Da sind ohne Ordnungskriterien ganz neue Szenen entstanden, in denen Kinder und Jugendliche in lockeren Gruppen ihren Sport treiben, wann immer sie wollen. Und die größte dieser Bewegungen ist der E-Sport. Gaming ist fester Bestandteil der Alltagskultur von Kindern und Jugendlichen geworden, und das relativ unbemerkt von der älteren Generation. Und die Speerspitze des Gamings, der Leistungssport ist eben der E-Sport. 

Viele assoziieren mit Gaming viel Übles. 

Im Gaming liegt erst einmal ganz viel Positives. Der Umgang mit neuer Technologie zum Beispiel. Die Kinder lernen auch ganz früh Fremdsprachen, weil sie am Computer mit Menschen aus der ganzen Welt spielen. Sie sind in komplexen Denksituationen geschult. Es gibt aber unbestritten auch Risiken: soziale Isolation, Bewegungsmangel, ungesunde Ernährung, Hate Speech. Als Gesellschaft müssen wir uns die Frage stellen, wie wir damit umgehen. Verschränken wir die Arme vor der Brust und sagen: Damit haben wir nichts zu tun! Oder versuchen wir aktiv daran zu arbeiten, dass man die Chancen nutzt und an den Risiken arbeitet. 

Sie haben sich für Möglichkeit Zwei entschieden. 

Ja, das war die Motivation, E-Sports-Sporthilfe zu gründen. Die esports player foundation ist eine neutrale, unabhängige Athleten-Spieler-Förder-Institution, die sehr vergleichbar ist mit der Deutschen Sporthilfe im traditionellen Sport. Auch uns geht es darum, den Spielerinnen und Spielern den Traum zu ermöglichen, die Besten der Welt zu werden, und gleichzeitig Verantwortung dafür zu übernehmen, dass das Risiko nicht isoliert beim Spieler beziehungsweise der Spielerin liegt. Wir bemühen uns um Schule, Ausbildung, um gesunde Lebensweise. Wir achten sehr stark darauf, dass die Spielerinnen und Spieler physisch fit sind, sich gesund ernähren, ausreichend schlafen, all das, was von einem Leistungssportler auch erwartet wird. Der große Unterschied ist: Wir gehen viel stärker auf die Werteorientierung der Spielerinnen und Spieler ein. 

Inwieweit? 

Die Auswahl der Spielerinnen und Spieler, die von uns gefördert werden, läuft im Wesentlichen auf zwei Ebenen. Auf der einen geht es um das Leistungsniveau – wie gut ist der Spieler, wie groß ist sein Potenzial, dass er gut werden kann. Auf der anderen testen wir seine Bereitschaft, anzuerkennen, dass er für viele Millionen Spieler ein Vorbild ist und sich ganz viele Kinder und Jugendliche an ihm orientieren werden, und dass er sich entsprechend zu verhalten hat. Dass er werteorientiert genau an diesen Themen zu arbeiten hat und sich gegen Hate Speech, Sexismus und Diskriminierung positioniert. Das nimmt eine ganz wichtige Rolle ein und ist sicherlich auch der Grund, warum wir politisch stark unterstützt werden. 

Bewährt sich Ihr Konzept? 

Wir haben einen sehr guten Weg gefunden, positiv in diese Gaming- und E-Sport-Szene zu wirken. Statt als weiße, alte Männer 15-, 16-Jährigen zu erklären, dass es nicht gut ist, wenn sie sich nur von Pizza und Cola ernähren, dass es nicht gut ist, wenn sie nachts nicht schlafen, sondern durchzocken, dass es nicht gut ist, wenn sie sich nicht bewegen, lassen wir das die Topstars des E-Sports kommunizieren. Die Botschaft ist in beiden Fällen dieselbe: Wenn Du besser werden willst, wenn Du wirklich gut sein willst und wirklich gut bleiben willst, dann musst Du ausreichend schlafen, dann musst Du physisch fit sein, dass musst Du auf eine gesunde Ernährung achten. Wenn das die Topstars sagen, kommt das beim Adressaten aber ganz anders und viel effektiver an.  

„Die Auswahl der zu Fördernden ist uns ganz, ganz wichtig, weil wir damit eine große Verantwortung übernehmen“

Bewerben sich Spielerinnen und Spieler bei Ihnen oder gehen Sie auf sie zu? 

Beides. Jeder Spieler, jede Spielerin kann sich jeden Tag an uns wenden, und dann schauen wir uns ihn höchst genau an. Dieses „Wir“ sind dann zum einen absolute Experten in den jeweiligen Titeln, also Spielen, und Trainer, die fachlich den Leistungsstand beurteilen können. Zum anderen geht es um Assessments aus dem klassischen Wirtschaftsbereich, also Themen wie Einsatz- und Leistungsbereitschaft. Die Psychologen schauen sich die Persönlichkeitsstruktur an und führen dann sehr intensive Gespräche über die Bereitschaft, die vorhin skizzierte Werteorientierung mitzumachen. 

Nun zu den Spielern und Spielerinnen, sie sich nicht bei Ihnen melden, sondern von Ihnen gefunden werden. 

Wir scouten, das machen unsere fest angestellten Coaches. Und wir starten immer mal wieder offene Bewerbungsverfahren, so genannte Talentcamps, wo sich jeder bewerben kann und es dann einen mehrstufigen Auswahlprozess gibt. 

Scheint so, als nähmen Sie es bei der Auswahl ganz genau. 

Ja, die Auswahl der zu Fördernden ist uns ganz, ganz wichtig, weil wir damit eine große Verantwortung übernehmen. Wenn wir jemanden in der Förderung aufnehmen, dann suggerieren wir ihm, dass er das Potenzial hat, ein Weltklassespieler zu werden. Demzufolge fordern wir auch von ihm immensen Einsatz. Das bedeutet, dass er 30, 40 Stunden pro Woche Aufwand betreiben muss. Nicht, weil wir es wollen, sondern weil das normal ist. Wenn sich dann später herausstellt, dass das Potenzial doch nicht groß genug für die Spitzenklasse ist, wäre das unglaublich bitter. Dann wären wir unserer Verantwortung nicht gerecht geworden. Deshalb sind wirklich sehr, sehr selektiv in der Auswahl. 

Wie alt sind die Spielerinnen und Spieler, die von Ihnen gefördert werden?

Grob gesagt: Bei den 16- bis 22-Jährigen reden wir vom Talentbereich. Und dann haben wir die schon erfolgreichen Weltklassespieler, die sind so Mitte bis Ende 20.

Was machen Sie mit den Weltklassespielern? 

Wir helfen ihnen, das Niveau zu halten. Wichtig sind dabei auch gesundheitliche Aspekte. Wir haben 16 Sportpsychologen, die mit ihnen arbeiten. Wir schauen auch, dass wir sie rechtsberaten, steuerberaten, auch in Anlagesachen beraten. Und, auch ganz, ganz wichtig: Wir denken gemeinsam intensiv darüber nach, was nach ihrer Karriere passiert. Wir wollen sie ja nicht in ein Loch fallen lassen. Wenn Sie mit Mitte bis Ende 20 ihre Karriere beenden, dann liegt hoffentlich noch viel Leben vor ihnen. Wenn ich bis dahin immer „nur“ Computer gespielt habe, ist das keine schöne Situation. Da geht es dann auch darum, parallel zu studieren, eine Ausbildung anzufangen, eben diesen Übergang möglich zu machen. 

Wie sieht die Betreuung eines Nachwuchstalents aus? 

Gleich spreche ich beispielsweise mit einem 16-Jährigen, der gerade seine mittlere Reife macht. Wir bauen ihm ein Umfeld, in dem er sein Abitur machen und gleichzeitig professionell spielen kann. Dazu gehört etwa die Auswahl einer geeigneten Schule. Weil er aus sozial schwachen Verhältnissen kommt, gibt es eine kleine finanzielle Unterstützung und Hardware. Zusätzlich wird er einmal in der Woche von einem unserer Coaches gecoacht, er hat alle zwei Wochen eine sportpsychologische Betreuung, wir machen mit ihm sportmedizinische Untersuchungen, er nimmt an allen möglichen Workshops teil – das ist dann schon viel Aufwand, weil es eben noch ein junger Spieler ist, der noch viel Betreuung braucht. 

Sie sprachen vorhin davon, dass für E-Sportler mit 30 die Karriere schon wieder vorbei ist. 

Das klassische Karriereende kommt eigentlich schon mit Mitte 20. Man hört oft, dass dann die Reaktionsgeschwindigkeit im tausendstel Millisekunden-Bereich abnimmt und man deshalb nicht mehr auf höchstem Niveau spielen kann. Klar, stimmt schon: Es geht beim E-Sport wirklich um Millisekunden. Es gibt Organisationen, die auf einen anderen Kontinent ziehen, weil da das Internet besser ist. Der Grund, warum viele Weltklassespieler und -spielerinnen schon mit Mitte 20 aufhören, ist meiner Meinung nach aber ein anderer. 

„Es gibt wahrscheinlich tausendmal so viele Angelvereine, wie es E-Sport-Vereine gibt“

Welcher denn?

Sie sind dem Druck nicht mehr gewachsen. Und das liegt eben daran, dass beim E-Sport alles noch so neu ist und der Unterbau fehlt. Es gibt eine Champions League, es gibt vielleicht noch so etwas wie eine Bundesliga, aber dann kommt nichts mehr. Im normalen Sport werden Athleten und Athletinnen langsam an das höchste Leistungsniveau herangeführt. Im E-Sport sitzen die allermeisten Gamer alleine zu Hause, ohne Strukturen, ohne Anleitung, und verdienen keinen Cent. Es kann allerdings sein, dass eine große Organisation auf sie aufmerksam wird. Und dann geht es auf einmal ganz schnell: Von heute auf morgen spielen sie plötzlich in der ausverkauften Lanxess Arena, und im Netz schauen um die 40 Millionen Menschen zu. Auf einmal ist es möglich, mittlere bis hohe sechsstellige Jahresbeträge zu verdienen. Und den Druck halten sie nicht lange aus, wenn sie nicht darauf vorbereitet und geschult und auch sportpsychologisch unterstützt werden. 

Das heißt, bevor keine große Organisation – eine Art Top-Verein - auf sie aufmerksam wird, spielen sie nicht vereinsgebunden? 

Das ist eins der großen Probleme. Die große Koalition hat sich ja in ihrem Koalitionsvertrag für die vollständige Anerkennung des E-Sport als Sport und für eine olympische Perspektive eingesetzt. Seitdem haben wir eine große sportpolitische Diskussion, ob E-Sport Sport ist oder nicht. Eine an sich völlig sinnlose Diskussion, weil es die Sport-Definition nicht gibt. Solange da nichts entschieden ist, werden Vereine, die E-Sport anbieten, nicht als gemeinnützig anerkannt. Das verhindert im ganz großen Stil die Gründung von Vereinen und damit auch den Aufbau einer Breitensport-Struktur. Es gibt zwar vereinzelte Initiativen, es gibt auch ein paar Vereine, aber im Vergleich zur klassischen Vereinslandschaft ist das nichts. Es gibt wahrscheinlich tausendmal so viele Angelvereine, wie es E-Sport-Vereine gibt, wohingegen es eine Millionen Mal mehr Spielerinnen und Spieler als Angler gibt. Und es kommt noch etwas Erschwerendes hinzu. Wenn man unter „Verein“ versteht, dass es auch einen physischen Ort gibt, ein Vereinsheim, eine Vereinsinfrastruktur, wo man hingegen kann und Gleichgesinnte trifft, wo man auch angeleitet wird, dann sind wir in Deutschland wahrscheinlich im einstelligen Bereich. 

Was genau sind „Organisationen“? 

Das sind hochprofessionelle, kommerzielle Spielerorganisation, die keinen Breitensport anbieten. Das ist Profi-Sport. Hier in Köln haben wir eine der erfolgreichsten Organisationen Europas, SK Gaming. Der 1. FC Köln ist dort Mitgesellschafter, genau wie die Deutsche Telekom und Mercedes. SK Gaming tritt in verschiedenen großen Titeln mit Mannschaften an. Aktuell haben wir von SK Gaming zwei Spieler bei uns in der Förderung.

„Wir sind ziemlich genau vor einem Jahr gestartet – und dann kam die Pandemie“

Wenn Sie auch solche Top-Spieler unterstützen, müssten diese eigentlich den Druck besser aushalten und länger spielen können … 

Ich persönlich gehe schwer davon aus, dass es in Zukunft auch ältere Spielerinnen und Spieler in der Weltklasse geben wird. Auch weil die Organisationen verstehen, dass die Spielerinnen und Spieler ihr human capital sind, was zu schützen ist. 

Wie viele Spielerinnen und Spieler betreuen Sie insgesamt? 

Aktuell sind wir gerade bei knapp 60 Spielern und Spielerinnen in zwei Titeln, League of Legends und Counterstrike. In ein, vielleicht zwei Jahren wollen wir bei 400, 500 sein.

Wie viele Mitarbeitende haben Sie? 

Sieben festangestellte. Die Zahl der freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist sehr viel größer. Wir verstehen uns ja als Initiative des gesamten E-Sports, und die Bereitschaft, bei uns mitzuarbeiten, mitzuwirken, mitzuhelfen, ist wirklich unglaublich – ob das nun Veranstalter sind, Publisher, Spielehersteller, Verbände, Vereine oder Organisationen. Alle können sehr gut nachvollziehen, dass unsere Initiative unglaublich wichtig ist. Im vergangenen Jahr haben uns über 300 Menschen unterstützt, die meisten ehrenamtlich. Wir haben aber auch feste freie Mitarbeitende, etwa die Sport-Psychologen, die nahezu tagtäglich und gegen Bezahlung mit den Spielern arbeiten. 

Wie finanzieren Sie sich derzeit?

Wir haben von Land NRW und von „game – Verband der Deutschen Games-Branche“ eine Anschubfinanzierung bekommen. Das mittelfristige Ziel ist, dass wir uns genau wie die Deutsche Sporthilfe durch Beiträge aus der Wirtschaft finanzieren. Wir haben da auch schon erste große Partner gewonnen, darunter die Deutsche Telekom und CosmosDirekt, sind aber noch im Aufbau.  

Klingt alles sehr positiv. 

Es ist noch nicht alles Gold, was glänzt, aber was uns wirklich extrem euphorisch stimmt: Vieles von dem, was vor einem Jahr noch Theorie und These war, funktioniert. Dass die Topstars die Bereitschaft mitbringen, als Vorbilder zu agieren, sich mit so schwierigen Themen wie hate speech zu beschäftigen und sich dagegen zu positionieren, das hat sogar noch viel besser geklappt, als wir es uns vorgestellt haben. Wir spüren eine ganz große Dankbarkeit in der Szene dafür, dass es uns jetzt gibt. Und wir haben wirklich tolle Partner gefunden, die bereit sind, in unsere Idee zu investieren – und das in einem Jahr, das für die Wirtschaft wirklich kein einfaches war. Klar, wir müssen in ganz vielen Prozessen noch viel besser werden. Wir wachsen sehr schnell und kennen die Probleme, die man damit mal hat. Manche Dinge dauern noch zu lange. Aber noch einmal: Das Grundkonzept, die Grundannahme hat sich total bewährt, wir müssen jetzt halt sehen, dass wir so schnell wie möglich noch besser werden. Der nächste Schritt wird dann sein, die E-Sport-Hilfe auch noch in andere Länder zu bringen. E-Sport ist alles, nur nicht national. Es gibt keine Organisation, die nur national besetzt ist. Da spielt immer jemand aus Afrika mit jemandem aus Europa mit jemandem aus Amerika mit jemandem aus Asien. Das ist ganz normal und eine der Stärken des E-Sports. Und wir wollen ganz gezielt Spielerinnen fördern: Im Moment sind 95 Prozent der Spielenden an der Spitze Männer. 

Aktuelles

Alle News