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EIT Culture & Creativity

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EIT Culture & Creativity ist die neunte „Innovation Community“ des European Institute of Innovation und Technology (EIT): eine Innovationsgemeinschaft, die europaweit Akteure der Kultur-und Kreativwirtschaft finanziell und durch Serviceleistungen fördert und die Gemeinschaft der Innovatoren auf diesem Gebiet stärkt. Das Headquarter wird in Nordrhein-Westfalen entstehen. Anlässlich der gamescom sprachen wir mit Bernd Fesel, interim Chief Executive Officer des EIT Culture & Creativity.

 

Viele werden EIT nicht kennen und sich auch nicht vorstellen können, was eine „Innovation Community“ ist. Können Sie bitte Licht ins Dunkel bringen?

Europa hat bereits eines der größten Innovationsprogramme der Welt, mit einem Volumen von circa 100 Milliarden Euro von 2021 bis 2027. Hier werden Innovationen unterstützt durch die Förderung von zum Beispiel technologischen Durchbrüchen, neuen Geschäftsmodellen, neuen Studiengängen oder auch Startups – für jede dieser Bereiche gibt es einzelne Förderprogramme.

 

EIT geht da anders vor als dieses Förderprogramm?

Richtig. Alternativ kann man die Zusammenarbeit der Einzelbereiche verbessern, das Ökosystem als Ganzes effektiver machen, und genau das ist der einzigartige Ansatz des EIT: die Gemeinschaft der Innovatoren aus Forschung, Bildung und Wirtschaft zu stärken. Es handelt  sich also um eine Innovationsgemeinschaft beziehungsweise Innovation Community. Eine solche Gemeinschaft ist mehr als die Summe der Einzelteile. Das hat doch jeder schon einmal erlebt und ist so simpel wie effektiv, wenn es denn funktioniert. Bei der Kreativwirtschaft mit rund 15 Teilmärkten und circa drei Millionen Firmen ist es eine besondere Herausforderung, so eine Gemeinschaft über alle Branchen- und Politik-Silos hinweg aufzubauen, zum Beispiel vom globalen Modekonzern bis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder zur Künstler-Initiative. Daraus entstehen branchenübergreifende und interdisziplinäre Innovationen. Diese mit gezielten Programmen, passgenau zu den Bedarfen der Branche, zu fördern und schnellstmöglich an den Markt zu bringen, ist eine Kernaufgabe einer jeden Innovation Community des EIT: auch unserer!

 

Bei der Ausschreibung für die Gründung von EIT Culture & Creativity sind Sie und Ihr Team als Sieger hervorgegangen. Wie haben Sie das gemacht, und wer gehört alles zum Team?

Unsere Bewerbung fußt auf einer einfachen Idee: Unsere Innovationsgemeinschaft will mehr als Förderung für ihre Mitglieder bieten, nämlich Service und Mehrwerte für alle Akteure. Sie muss relevant und attraktiv für die Vielfalt und Mehrheit der mittleren und kleinen Unternehmen (KMUs) und der Einzelunternehmer, auch der Künstler sein: Sie machen immerhin 90 Prozent der Kultur- und Kreativfirmen in Europa aus. Das machen wir durch zwei Strategien möglich: Erstens durch die Entwicklung von neuen Dienstleistungen, die es bisher in der Europäischen Kreativwirtschaft schlicht nicht gibt. Die Zersplitterung der vielen Branchen und kleinen Märkte hat dies bisher verhindert, doch eine gemeinsame Europäische Gemeinschaft kann dies leisten. Voraussetzung: Das EIT Culture & Creativity tritt nicht in Konkurrenz zu vorhandenen Angeboten und Akteuren, sondern stärkt diese.

Zweitens entstehen aus diesem neuen gigantischen Netzwerk aus Forschung, Bildung und Wirtschaft in mehr als 30 Staaten nie da gewesene neue Kooperationen; zum Schluss führt dies zu neuen Ideen, Produktionen, Produkten und im besten Fall zu neuen Märkten, neuen Jobs. Das hat sich schon während der Bewerbung ergeben, zum Beispiel mit dem Startup Gamesforest, das auch in Köln auf der gamescom zu finden ist. Kurz gesagt: Netzwerke von Innovatoren schaffen innovative Werke und Welten.

 

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich an der Ausschreibung zu beteiligen?

Das war ein Erlebnis im März 2019 auf einer Konferenz im Europäischen Parlament, die auf Initiative eines Mitgliedes des Europäischen Parlaments, Dr. Christian Ehler, stattfand, ein Evangelist der Kreativität unter den Politikern in Brüssel. An diesem Tag wurde bekannt gegeben, dass die Europäische Union in ihr Forschungsprogramm erstmals seit ihrer Gründung ein eigenes Programm für die Kreativwirtschaft aufnehmen würde, genannt „Kultur, Kreativität und Inklusive Gesellschaft“. Das war der Durchbruch für die Kreativwirtschaft in der Europäischen Politik. Ich musste an das Jahr 2008 denken, als der damalige Präsident Barroso die erste Studie zur Kultur als Wirtschaftsfaktor in Auftrag geben. Auch das war ein Wendepunkte für mich, der mich dank Prof. Dieter Gorny und Oliver Scheytt zur Europäischen Kulturhauptstadt RUHR.2010 führte. Seit 2019 war für mich dann die nächste große Herausforderung, die Kreativwirtschaft durch eine Innovationsgemeinschaft so zu stärken, dass die ganzen großen Erwartungen an unsere Branchen auch eingelöst werden können.

 

Was macht EIT Culture & Creativity, was nicht schon andere Institutionen machen?

Stellen Sie sich einen Studenten vor: Nach dem Master sucht er/sie eine Förderung oder auch einen Job, um seinen/ihren PhD zu finanzieren. Später sucht er/sie einen Business Angel um die erste Firma zu gründen, einige Jahre später dann einen VC Kapitalgeber, um groß in den Markt zu gehen. Üblicherweise müsste sich der Studierende jedes Mal bei einem anderen Förderprogramm melden, bei einem anderen Ministerium – und dies noch verteilt über viele Nationen, wenn er auch international tätig sein will, und in Deutschland ist das praktisch jede zweite Firma. Beim EIT Culture & Creativity gibt es das alles aus einer Hand: ein One-Stop-Shop für Innovatoren. Das senkt nicht nur Aufwand und Suchkosten, sondern verstärkt auch Betreuung und Mentoring über Jahre hinweg. In einer Welt voller Unübersichtlichkeit haben die Innovationsgemeinschaften des EIT eine Antwort. Ganz konkret werden wir zum Beispiel neue Investment- und Finanzierungs-Möglichkeiten für die Kreativwirtschaft schaffen, auch Inkubatoren und Akzeleratoren für die besonderen Geschäftsmodelle der Kreativwirtschaft.

 

Identifizieren Sie selbst förderungswürdige Projekte, oder kann man sich bewerben?

Das EIT Culture & Creativity veröffentlicht ab 2023 seine Förderprogramme im Europäischen Funding Portal – transparent und zugänglich für alle. Unabhängige Jurys entscheiden über die Auswahl der geförderten Projekte.

 

Welche Voraussetzungen müssen für eine Förderung gegeben sein?

Die Förderprogramme werden zurzeit erarbeitet; dazu gehören auch die Details der Antragsvoraussetzungen. Fest steht, dass es Förderprogramme für den einzelnen Künstler wie für das große Forschungsinstitut geben wird – und vor allem Programme, die die Zusammenarbeit dieser verschiedenen Welten innerhalb der Kreativwirtschaft stärkt. Gerade an den Schnittstellen von Kultur und neuen Technologien entstehen ganz offensichtlich immer wieder Innovationen. Mobiltelefone sind da das bekannteste Beispiel, die ja mittlerweile globale Marktplätze für kulturelle Inhalte wie Literatur, Musik, Filme und Gaming sind. Branchenübergreifende Kooperation, „Cross-Fertilization“, ist unser fundamentaler Förderansatz im EIT Culture & Creativity.

 

Gerade läuft ja die gamescom. Wie könnte zum Beispiel auf diesem Gebiet eine innovative Idee aussehen, die Sie zu fördern reizen könnte?
Sicherlich gibt es Hunderte, wenn nicht Tausende innovative Ideen auf der gamescom. Unser Förderprogramm ist wie eine Playlist: Eine Firma, die die nachhaltige Prozesse und Produkte einführen möchte (Green Transformation) könnte sich genauso an uns wenden wie der Mitarbeiter, der eine Technologie erforschen und sich mit dieser Idee selbständig machen will, oder der Politiker, der in Europa Vorbilder oder Investment-Partner sucht, wie er an seinem Standort vor Ort Gaming oder auch die Games-Industrie stärkt. Sie sehen: Jeder Innovator ist angesprochen – ob in der Wissenschaft, in Unternehmen oder in der Politik.

 

Wie sieht die Struktur von EIT Culture & Creativity aus?
Im Jahr 2024 werden mit rund 40 Mitarbeitern, Büros, Webseite und natürlich den rechtlichen Strukturen startklar sein. Bis Mitte 2023 haben wir Zeit die organisatorischen Strukturen zu gründen. Das sind zum einen sechs regionale Service-Centren, die ganz Europa abdecken – von Barcelona, Amsterdam, Helsinki, Kosice, Wien und Bologna aus. In NRW soll das Headquarter entstehen, alles getragen durch einen gemeinnützigen Verein.

 

Wie weit ist der Gründungsprozess schon vorangeschritten, was ist noch alles zu tun?

Nach der Auswahl durch das EIT im Juni 2023 ist die erste Aufgabe bis Ende September das Jahr 2023 zu planen und die Finanzierung dafür beim EIT zu beantragen. Für das erste Jahr können wir bis zu 6,0 Millionen Euro erhalten, um die Organisation aufzubauen und die ersten Förderprogramme zu entwickeln. Diese werden in 2023 veröffentlicht und starten dann, nach Auswahl durch eine unabhängige Jury und Bewilligung durch das EIT, Anfang 2024.

 

Ist EIT Culture & Creativity ein zeitlich begrenztes Projekt?

Nein – das ist eine weitere Besonderheit des EIT Modells der Innovation Communities, die mich und meine Kollegin, Claudia Jericho, unser interim Chief Operating Officer,
von Anfang motiviert hat, diese unglaublich aufwändige Bewerbung mit 50 Partnern zu organisieren. Das EIT gibt seine Förderung im Sinne eines Gründungszuschuss, der zu Beginn eine hundertprozentige Förderung ist und dann ab 25 Prozent im Durchschnitt abschmilzt. In dieser Zeit muss man wirtschaftlich selbständig werden; eine einmalige Gelegenheit, eine wirtschaftlich tragfähige Innovationsagentur zu schaffen. Das wird nicht leicht; eine unternehmerische Herausforderung, an der wir nicht vorbeigehen konnten!

 

Was müsste alles geschehen, damit Sie eines Tages sagen können: Mensch, das hat sich gelohnt?

Das können Claudia Jericho und ich schon heute sagen – und auch jeder Partner und Kollege der Bewerbung wie auch der Koordinator der Bewerbung, Fraunhofer. Wichtiger ist uns allen, dass die Künstler und Kreativen, die durch dieses Interview vielleicht erstmalig vom EIT hören, in drei Jahren sagen: Der Aufwand hat sich für das Ökosystem insgesamt gelohnt. Das ist unser aller Ziel.

 

Bernd Fesel ist Mitglied des CREATIVE.Board, des Expertengremiums von CREATIVE.NRW, und seit 1990 in der und für die Kultur- und Kreativwirtschaft tätig. Er arbeitete unter anderem als Berater für die Deutsche UNESCO Kommission sowie das Auswärtige Amt und organisierte die erste Kreativwirtschaftskonferenz in Berlin. Er war stellv. Direktor für die Europäische Kulturhauptstadt RUHR.201 und von 2011 bis 2019 Seniorberater für die Nachfolge-Institution, das european centre for creative economy in Dortmund. Fesel ist Lehrbeauftragter für Kreativwirtschaft an der KMM Hamburg und seit 2017 Vorsitzender des European Creative Business Network (ECBN), das sich für die Interessen der Kreativwirtschaft in den europäischen Institutionen in Brüssel einsetzt. Dabei fokussiert das Netzwerk mit seinen 140 Mitgliedern aus 28 Nationen die Stärkung von Innovationspolitik und -programmen für die Kreativwirtschaft. Seit 2012 veranstaltet das ECBN den zentralen jährlichen Summit zur Kreativwirtschaft Europas, den European Creative Industries Summit. Seit Juni 2022 ist Bernd Fesel interim Chief Executive Officer des EIT Culture & Creativity.

 

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